Bildung ist nur dann nachhaltig, wenn sich Verstehen/Vernetzen und erworbenes Wissen die Waage halten (Essays vs. Kreuzerltests, Phantasie vs. auswendig lernen). Weiters ist Bildung nur dann egalitär, wenn es irrelevant ist, ob man reich ist oder arm, ob man am Land lebt oder in der Stadt, ob man sich für Kunst begeistert oder für Mathematik – oder für beides! Das Sollziel nachhaltiger egalitärer Bildung auf allen Ebenen ist 1/3 klassisches Wissen (Geschichte, Geographie, etc.), 1/3 logisches Wissen (Verstehen, Vernetzen) und 1/3 aktuelles Wissen (nötig zum Überleben als selbstbestimmte Bürger; und auch hier ist die eine Hälfte erworbenes Wissen, und die andere Hälfte Verstehen und Vernetzen). Ein weiterer Punkt hier ist die Halbwertszeit von Bildung, da mit dem Abschluss der Ausbildung ein Prozess des Vergessens einsetzt, der – wenn man ihm nicht entgegenwirkt – zu einer ‚Entbildung’ führen kann. Gegenmassnahmen können hier dynamisch sein (Lebenslanges Lernen) oder statisch in Form einer qualitativ hochwertigen Ausbildung, die dem Vergessen des Wissens durch Verstehen entgegenwirkt (Erzeugung von Wissen durch Herleitung).
Warum braucht das System egalitäre Bildung? Die Gesellschaft benötigt selbständige Bürger, um zu funktionieren. Bürger, die reflektieren können, die sich ihre eigene Meinung bilden. Mündige Bürger, die in der Lage sind, die demokratischen Freiheiten zu nutzen und gegebenenfalls einzufordern. Dieser Bildungsweg fängt in der Schule an und dauert ein ganzes Leben. Dazu ist es notwendig, das vermittelte Wissen zu konsolidieren, der Bürger muss also über die Ansammlung von auswendig gelernten Daten hinaus in der Lage sein, sich ein objektives Bild von Sachverhalten zu machen. Nur diese Fähigkeit bietet Schutz vor Rattenfängern (kleinformatige Tageszeitungen, Sekten, …) und Ideologien, die die Welt sehr einfach erklären wollen. Eine Grundausstattung, ein Grundstock des Wissens ist notwenig, eine kritische Masse an vernetzbarer Bildung in Kombination mit einer Methodik des Denkens, das es dem Einzelnen erlaubt, Zusammenhänge zu erkennen und ihn zu einem freien Menschen macht. Auch aus der Sicht der gegenwärtigen Riesenprobleme der globalisierten Weltgesellschaft werden denkende Menschen gebraucht, die die Probleme identifizieren und die aktiv den Herausforderungen begegnen. Hier liegt es gerade an Europa, basierend auf den Möglichkeiten und der geschichtlichen Verantwortung, einen Beitrag zu leisten und bei der Förderung von wachen Geistern eine Vorreiterrolle einzunehmen. Bildung schafft in den Menschen eine Grundlage für den erfolgreichen Start in ein selbstbestimmtes Leben.
Eine Analyse der weltweiten Bildungssysteme zeigt zwei grundsätzliche Arten der Ausbildung: Qualitative persönlichkeitsfokusierte Bildung konzentriert sich auf den Charakter, es wird mit Motivation auf individuelle Ziele hingearbeitet, auf die Einzelnen wird individuell eingegangen, Stärken werden gestärkt. Quantitative angstzentrierte Ausbildung arbeitet mit Angst und Druck in einem inflexiblen hop oder drop System auf einen Schwellwert hin, der erreicht werden muss (z.B. eine bestimmte Punkteanzahl bei einem Kreuzerltest); die Alternative ist ein ‚verpfuschtes Leben’. Es versteht sich von selbt, dass das qualitative Systen den Schwerpunkt auf die Lehre und den Dialog legt und das quantitative System sich auf Prüfungen und Benchmarks konzentriert.
Aus diesem Grund ist es nicht akzeptabel, dass die ursprüngliche Neugierde und Klugheit der Kinder, deren natürliche Intelligenz, ohne Rücksichtnahme auf deren Anlagen durch stupides Auswendiglernen zerstört wird. Oft wird der Weg des geringsten Widerstandes gegangen und der Lehrbetrieb tut nichts anderes als potentiellen Talenten den Kopf mit Riesenmengen von abfragbarem Wissen zuzustopfen. Es bleibt keine Zeit zum Nachdenken, Analysieren und Vernetzen; Fragen sind nicht erwünscht. Schlussendlich verbringen Kinder ganze Nachmittage damit, bei ihren Aufgaben Reproduzierbares zu reproduzieren. Eine ganze Generation wird ruhiggestellt …
Es ist aber nicht so einfach. Unser System braucht vielfältige Menschen, keine grenzintellektuellen Monokulturen (Primärregenwald vs. Palmölplantagen). Die biomimetische Betrachtung von Ökosystemen liefert vielfältige Inspiration in Bezug auf nachhaltige Bildung. Im Idealfall greifen wir Menschen wie die Zacken eines Zahnrades ineinander und bilden interdisziplinäre Lösungssysteme. Monokulturen sind krankheitsanfällig, laugen Böden aus und kommen und gehen schnell. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es zusehends Spezialisten, die sich ohne Quervernetzung im Kleinen und Kleinsten verlieren, ebenso wie die Resultate, die sie erzielen; es gibt viel zu wenige Generalisten mit umfassendem Überblick. Wo sind die Nischenplätze? Wo die Querdenker?
Die Systemschwäche beginnt schon im Kindergarten: die einen Kinder bekommen Spielsachen, die nur eine Art des Bespieltwerdens zulassen, Playmobile (fertige Spielsachen), die anderen Kinder (in teureren Anstalten) bekommen Spielzeug ohne eindeutige Zuweisung wie z.B. Wäscheklammern, Schnur, Steine. Eine der Autorinnen hat selbst erlebt, dass ihre Kinder im Waldorfkindergarten nur zweiteres bekommen haben, und nun im öffentlichen Kindergarten nur ersteres kriegen. Die Begleitung vom Kleinkindalter an soll im Sinne der Ausbildungsstätten das Individuum unterstützen, seine eigenen Talente und Stärken herausfinden, um diese für die Gesellschaft einsetzen zu können. Daraus entsteht eine win – win Situation für beide Seiten.
Kritik: Das reproduzierbare Wissen unserer Zeit wächst exponentiell. Und auf der anderen Seite erleben wir Technologiebrüche (verlorenes Wissen). „Überholtes Wissen“ und das momentan zeit- und resourcenintensive „Management von Überinformation“ zeigen uns, wie wichtig es ist, von der Quantität zur Qualität zu gehen. Alle paar Jahre verdoppelt sich das Wissen in manchen Fachgebieten. Forscher, die 2 Jahre weg von der Wissenschaft verbringen, sind ‚weg vom Fenster’. Frauen sind nach einer Karenz oft unvermittelbar, weil frau „altes, überholtes“ Wissen besitzt. Dies, obwohl ein Kind großzuziehen eine riesengroße und umfassende Aufgabe ist, die man nur generalistisch angehen kann. Auf die Inputs von Kräften ausserhalb des Systems wird aber verzichtet. Ein ähnliches Muster tritt in Bezug auf Umlernen und Wechsel des Arbeitsplatzes auf: 50% der Bevölkerung kann nicht umlernen, kann nicht umdenken.
Empfehlung: Mit Verständnis statt Auswendiglernen erwerben wir Höherqualifikation, bewahren unseren Wettbewerbsvorteil und vermitteln höhere Grundqualifikationen. Es geht z.B. nicht um die Matura (also ein singuläres Eringnis, dem ein Mensch in der Höhe seiner Leistungsfähigkeit gegenübersteht), sonders darum, das Gelernte in einen direkten Nutzen für den Menschen und die Gesellschaft zu verwandeln, also die Kurve des Vergessens nach der Matura abzuflachen (Halbwertszeit der Bildung – nachhaltige Bildung) und durch Vernetzung und Verstehen den Nutzern des Wissens mehr und bessere Möglichkeiten zu geben.
Kritiken, Erfahrungsberichte und Empfehlungen der Autorinnen im Bereich der Kleinkinderziehung, des Universitätssystems in Europa, USA und Asien und des lebenslangen Lernens schließen den Vortrag ab. Alle drei Autorinnen werden in Hallstatt persönlich zugegen sein, und freuen sich auf angeregte Diskussionen zu folgenden Themen (oder vielleicht auch ganz anderen): Wozu brauchen wir gescheite gute Leute auf allen Ebenen? Wieso wollen wir nicht nur der Elite des Geldes die „gute“ Bildung überlassen? Was ist der Unterschied des Zuganges über eine Elite des Geldes vs. einer Elite der Begabten? Warum überhaupt wollen wir die Begabten fördern? Haben nicht alle ein Recht auf ein gutes Leben? Wenn alle gleich gefördert werden, wo ist dann der Motor für die Einzelnen?
AutorInnen: Ille C. Gebeshuber1,2,*, Sigrid Zobl3 und Doris Lang-Lepschy4
1 Nationale Universität von Malaysia (UKM), 2 Technische Universität Wien
3 Akademie der bildenden Künste Wien, 4 Fachhochschule Joanneum Graz
* Kontaktautorin: gebeshuber@iap.tuwien.ac.at, ille.gebeshuber@mac.com