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Kraxberger Sabine: Die Förderung von Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen für lebensbegleitendes Lernen – ein Thema für die Grundschule?

Abstract Momentum 09 Track 9 „Bildung und Demokratie”

„Die Förderung von Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen für lebensbegleitendes Lernen – ein Thema für die Grundschule?“

Meine Arbeit beschäftigt sich zunächst eingehend mit einer Begriffsbestimmung der beiden zugrunde liegenden Begrifflichkeiten. Dies wird mittels Inhaltsanalyse zentraler Papiere zur Bildungsplanung und Dokumente zum Konzept des Lebenslangen Lernens durchgeführt. Hierbei zeigt sich, dass die Begriffe Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen in der Regel sehr weite und unscharfe Konstrukte darstellen, die mit einer Vielzahl von teilweise ähnlich lautenden Begriffen bezeichnet werden. Gemeinsames Kriterium ist ihr inhaltsunabhängiger bzw. –übergreifender Charakter, welcher eine gute Übertragbarkeit auf verschiedenste Lebensbereiche ermöglicht und ein Grundinstrumentarium für die Auseinandersetzung mit veränderten Anforderungen in verschiedensten Kontexten darstellt. Mit Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen werden nicht nur Kulturtechniken, metakognitive Kompetenzen bzw. die Fähigkeit zur Selbstregulation von Lernprozessen und die Fähigkeit zum fächerübergreifenden Denken bezeichnet, es werden auch eine Reihe von motivationalen und sozialen Aspekten wie auch der Bereich von Einstellungen und Werthaltungen gefasst. Damit geschieht eine Ausweitung des Kompetenzbegriffs im Bildungsdiskurs auf den Bereich von Persönlichkeitsmerkmalen und Dispositionen. Ein Teil dieser „Kompetenzen“ wird aber nicht nur als Ziel von Bildung und Qualifikation adressiert. Motivation, metakognitive und soziale Kompetenzen beispielsweise sind zudem in der Literatur der pädagogischen Psychologie als grundlegende Lernvoraussetzungen zu finden. Bildungsziel ist es unter diesen Gesichtspunkten also, die Individuen mit einer Reihe von Kompetenzen auszustatten, die sie zu einem zunehmend eigenständigeren (Weiter)Lernen befähigen sollen.

Mit der starken Betonung der Selbststeuerung und Übernahme von mehr Eigenverantwortung in Lernprozessen, wie auch der Fähigkeit zur Vernetzung und Kontextualisierung von Inhalten, wird der Entwicklung einer persönlichen Urteils- und Reflexionsfähigkeit ein starkes Gewicht verliehen. Es wird hier also auf zentrale Elemente von Persönlichkeitsbildung und Emanzipation verwiesen. Dieser auf Konzeptebene gegebenen Breite angestrebter Kompetenzen stehen jedoch eine Reihe von Arbeiten gegenüber, die unter dem Titel „Ökonomisierung der Bildung“ Phänomene der Umsetzungspraxis konzeptuell gegebener Richtlinien beschreiben, in denen im wesentlichen nur mehr der Ausschnitt an Kompetenzen im Blickpunkt steht, der sich nach ökonomischen Kriterien als zweckmäßig erweist.Die Durchsicht der pädagogischen Fachliteratur zeigt, dass die Förderung jener Komponenten, die mit den Begriffen Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen gefasst werden, immer wieder Gegenstand von pädagogischen Überlegungen ist und war. Als förderlich für die Entwicklung von Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen werden insbesondere offene und konstruktivistisch orientierte Unterrichtskonzeptionen angeführt, die individuelle Lernwege verstärkt herausfordern, SchülerInnen erweiterte Freiräume für die Gestaltung von Lernprozessen und das Einbringen eigener Interessen eröffnen, Gelegenheiten für die Anwendung des Gelernten bereitstellen und soziale Kompetenzen fördern. Es stehen hier stärker individualisierte Unterrichtsformen, die sich an den heterogenen Lernvoraussetzungen der SchülerInnen orientieren, im Vordergrund. Ebenso wird Formen einer motivationsförderlichen Leistungsbeurteilung eine große Bedeutung zugemessen. Ausgehend von den genannten pädagogischen Konzepten wird einerseits nach den Voraussetzungen und erforderlichen Rahmenbedingungen und andererseits nach den Problembereichen und Barrieren im Hinblick auf deren Umsetzung in die Unterrichtspraxis gefragt. Die Basis dafür stellen die pädagogische Fachliteratur und Interviews mit Lehrenden an den Pädagogischen Hochschulen in Linz dar.

Folgende Bereichen werden im Hinblick auf die Umsetzung offener bzw. individualisierter Lernformen als bedeutungsvoll erachtet:

Räumliche, materielle und finanzielle Rahmenbedingungen

Zeitliche Rahmenbedingungen:
Im Zuge des Abgehens von einem gleichschrittigen Lernen für alle und dem Zulassen und Herausfordern eigener Lernwege sind erweiterte zeitliche Ressourcen vonnöten; als hinderlich erweist sich auch ein unflexibler 50-Minuten-Rhythmus der Unterrichtseinheiten.

Voraussetzungen auf SchülerInnenseite:
Offene Unterrichtsformen sind in der Literatur und nach Aussagen der befragten ExpertInnen an ein gewisses Mindestmaß von Voraussetzungen auf SchülerInnenseite – hinsichtlich Konzentrationsfähigkeit, Eigenständigkeit und sozialer Kompetenzen – gebunden. Ist dies nicht gegeben, gestaltet sich offener Unterricht nur als schwer bzw. eingeschränkt durchführbar. Andererseits bieten offene Lernformen dadurch, dass die Lehrperson im Gegensatz zum Frontalunterricht frei ist, mehr Möglichkeiten, einzelne SchülerInnen gezielt zu unterstützen. Hier dürfte die Größe der Lerngruppe bzw. die Anzahl der Kinder, die erweiterten Unterstützungsbedarf haben, der entscheidende Faktor für die Durchführbarkeit offenen Unterrichts sein.

Erfahrungen und Einstellungen in Bezug auf offene Lernformen auf Seiten der PädagogInnen:
Einfluss auf die Umsetzung offener Lernformen haben auch Vorstellungen darüber, wie schulisches Lernen erfolgen soll. Auf PädagogInnenseite steht dies in Verbindung mit dem jeweils individuell entwickelten Lehrstil. Offener Unterricht wird als eine aufwändige Lehrmethode beschrieben, die umfangreiche Vorarbeiten in Bezug auf die Vorstrukturierung und das differenzierte Anbieten des Materials fordert, wie auch ein hohes Maß an Deutungs- und Diagnosekompetenzen, Übersicht und Flexibilität im Unterricht, was in einem bestimmten Maß persönlicher Überzeugung gründen muss. Auch wenn die zur Diskussion stehenden Unterrichtskonzeptionen stark auf die eigenaktive Rolle der SchülerInnen fokussieren, wird der Wert und die Notwendigkeit pädagogischer Anleitung und Unterstützung hervorgehoben – gerade dort, wo die subjektiven Lernvoraussetzungen nur unzureichend gegeben sind.

Familie, soziales Umfeld:
Soziale Rahmenbedingungen, die auf die schulische Förderung von Basiskompetenzen zurückwirken, stellen auch alle jene Sozialisationskontexte dar, in denen lernrelevante Haltungen und Fertigkeiten grundgelegt werden – dies umso mehr, je mehr dispositionelle Aspekte in das angestrebte Kompetenzspektrum für lebensbegleitendes Lernen eingehen. Bildungsinstitutionen können dann nur an den individuellen Stand der Kompetenzen anknüpfen. Entscheidend ist, wieweit die schulische Förderung von Kompetenzen anschlussfähig an das im Vorfeld und außerhalb der Schule entwickelte Dispositions- und Motivsystem der SchülerInnen ist. Aber nicht nur indirekt, über die Lernvoraussetzungen der Kinder, auch direkt, beispielsweise über die Beteiligung der Eltern an der Festlegung der Unterrichtsformen, wird Einfluss darauf geübt, ob und wie weit offene Unterrichtsformen zum Einsatz kommen (können).

Gesellschaftliche Denkmuster:
Hier spielen Ansichten darüber, wie Kinder und Jugendliche auf die Anforderungen des Lebens vorbereitet werden können, bzw. die Einstellung zu Merkmalen der gegenwärtigen Leistungsgesellschaft (Konkurrenz, Selektion…) eine Rolle. Obwohl das gegenwärtige System der schulischen Leistungsbeurteilung für viele SchülerInnen negative motivationspsychische Folgen nach sich zieht, stößt es dessen ungeachtet auf breite Akzeptanz bzw. wird zumindest für unumgänglich gehalten.

Die eben skizzierten Beispiele machen deutlich, welche institutionellen und gesellschaftlichen Barrieren der Umsetzung von Konzepten entgegentreten können und liefern zum Teil auch Erklärungen dafür, warum Konzepte, die sich auf einen breiten Konsens stützen, häufig weitgehend Absichtserklärungen bleiben. Mit der breiten Konsensfähigkeit in Verbindung steht die schon erwähnte Unschärfe der verwendeten Begriffe. Die Offenheit und Unbestimmtheit dieser Begrifflichkeiten bietet auch Spielraum zur ideologischen Einengung und Verkürzung. Dies spiegelt sich in der ambivalenten Wahrnehmung des politisch- ökonomischen Hintergrunds von Basiskompetenzen oder ähnlichen Begriffen und der zunehmend stärkeren Bezogenheit von Wirtschaft und Pädagogik durch die Befragten.

Erfahrungen in außerschulischen Feldern werden durchwegs als Professionalitätsgewinn für PädagogInnen gesehen. Andererseits aber wird der verstärkte Einzug ökonomischer Kriterien, die Lehr- und Lernprozesse in erster Linie im Hinblick auf Zweckmäßigkeit und Verwertbarkeit messen, als problematisch und der Logik und Kriterien der Pädagogik entgegenstehend betrachtet. Basiskompetenzen, die zu einer zunehmend eigenständigeren Aneignung von Wissen und Kompetenzen befähigen sollen, stehen unter diesen Gesichtspunkten nicht mehr im Zeichen der Persönlichkeitsentwicklung und Emanzipation, sondern im Zeichen der Lenkung im Sinn einer spezifischen politischen Rationalität. In der Praxis ist häufig nur ein umgrenzter Ausschnitt von Kompetenzen gefragt.

Die Umsetzung der oben vorgestellten pädagogischen Konzepte in die Unterrichtspraxis und damit verbunden die Förderung eines breiten Spektrums von Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen ist entsprechend der oben angeführten Punkte auf eine Reihe von Rahmenbedingungen angewiesen. Schulorganisatorische und –strukturelle Bedingungen spielen hier ebenso eine Rolle wie die Professionalität der PädagogInnen. Mit Blick auf die Bedeutung außerschulischer Kontexte für die Entwicklung von Kompetenzen muss auch die die Gewährleistung sozioökonomischer Sicherheit und die Schaffung eines Bewusstseins für die Heterogenität der individuellen Lernvoraussetzungen und die Bedeutung individualisierter Unterrichtsformen – über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg – unterstrichen werden.

Sabine Kraxberger


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